==> Die künstlerische Interpretation, die Beziehung zwischen Komponist und Interpret, ist seit ihren Anfängen das Herzstück der zeitgenössischen Musik. Im 20. Jahrhundert haben sich ihr Verständnis und ihre Praxis radikal erweitert. Musikalische Interpretation ist nicht mehr nur das, was ein Musiker am Instrument macht. Theoretische, wissenschaftliche und mediale Dimensionen der Interpretation sind heute vielfältig und allgegenwärtig. faithful! II baut zukunftsweisende Anregungen aus dem ersten Festival von 2012 aus und setzt vielseitige neue Akzente. So werden wir wieder Interpretationsvergleiche und Reinterpretationen erleben, mit neuen Fragen an Interpreten und Komponisten.
Eröffnet wird das Festival mit einem kompakten Debütkonzert des legendären Künstlerkollektivs Los Angeles Free Music Society (LAFMS). Die Gruppe reinterpretiert essentielles Material, das vierzig Jahre auf eine Wiederaufnahme warten musste. Dasselbe Material wird anschließend von Berliner Improvisatoren mit Zeena Parkins als Gast neu verarbeitet werden. Hinzu kommt eine Version in einer gemeinsamen Interpretation aller Musiker. Damit stellt faithful! II gleich am Eröffnungsabend die Frage, wie zeitgenössische Musik, deren „Original“ hauptsächlich als Aufnahme existiert, interpretiert werden kann, und gibt eine direkte musikalische Antwort darauf.
Ähnlichen Fragen stellt sich das Ensemble Extrakte, das mit den Gebrüdern Teichmann Berliner Klubkultur seit den 1990er Jahren bis in die Gegenwart verarbeitet. Das Modul des Loop wird aufgegriffen und auf Instrumenten verschiedenster Kulturen sowie mit elektronischen Mitteln ausgelotet.
Drei Komponisten und drei Ensembles stehen im Rahmen des Festivals besonderen Herausforderungen gegenüber. faithful! II vergab Kompositionsaufträge an Ernstalbrecht Stiebler, Dror Feiler und Osvaldo Budon. Die entstehenden Werke sollten für Ensembles ganz verschiedener Backgrounds interpretierbar sein. Im Vergleich hört man also dieselben Stücke, interpretiert von Norrbotten NEO, dem schwedischen Ensemble für zeitgenössische Musik, einer Gruppe von Improvisationsmusikern und der Lautten Compagney, einem Ensemble für Alte Musik. Das Festival stellt damit die Notationsweise, Instrumentation und Herangehensweise der Komponisten und Ensembles auf den Prüfstand. Die Frage lautet: gibt es „musikalische Objektivität”?
faithful! II intensiviert den Interpretationsvergleich ausgewählter zeitgenössischer Werke mit international renommierten Ensembles – Oslo Sinfonietta, Ensemble Multilatérale und Norrbotten NEO, Sonar Quartett, Tana String Quartet – sowie mit Solomusikern und Soloensembles.
faithful! II verortet ein mobiles Interventionsprojekt in eine Galerie, in der die französische Cellistin Séverine Ballon neue Musik in einen Zusammenhang mit zeitgenössischer Bildender Kunst stellt. Das Festival präsentiert Remixe von Iannis Xenakis’ Persepolis und Reinterpretationen im Vergleich mit der Komposition Cogito von Iancu Dumitrescu und Musik von Ashtray Navigations. Alexander Frangenheim und Séverine Ballon erarbeiten dafür eigene Versionen.
Die Anfänge der grafischen Notation werden mit Partituren des griechischen Komponisten Anestis Logothetis durch zwei Ensembles untersucht.
Bestimmte Stücke des Festivals werden nochmals in einem 3 D-Sound-Environment von Charlie Morrow zu erleben sein. Der dreidimensionale Klangraum macht Klangdetails wahrnehmbar, die in einem Konzertsaal auch bei bester Akustik verborgen blieben. Charlie Morrow schaltet zusätzlich aus einem adäquaten True-3-D-Raum in New York Stücke passend zum Festivalthema.
Die Musik der Band Califone aus Chicago erlaubt mit Tim Rutili und weiteren Multiinstrumentalisten das scheinbar Fragmentarische, Skizzenhafte; sie speist sich aus Folklore, Rock und elektronischen Experimenten. Mal spielen sie impressionistisch-instrumentalen Jazzrock oder sphärischen Blues-Instrumental, mal entlehnen sie Elemente aus Krautrock oder Trip Hop oder sie reinterpretieren Stücke von Psychic TV oder Rolling Stones. Califone verortet musikalische Reinterpretation grandios zwischen Experiment und unerhörten Klangwelten.
Johannes Kreidler schließlich programmiert ein Keyboard so um, dass der Ton erst beim Loslassen der Taste erklingt. Dies widerspricht fundamental dem Tastengefühl, das ein Pianist durch jahrelanges Üben erworben hat. Das Publikum, aber auch professionelle Pianisten sind eingeladen, auf diesem Instrument zu spielen.
Konzept, Programm: Elke Moltrecht